Das Ziel der SPD, den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland auf 12 Euro anzuheben, ist unter vielen Gewerkschaftsvertretern auf Skepsis gestoßen. Schließlich könnten dadurch gerade in Branchen mit niedrigem Lohnniveau tarifvertraglich geregelte Löhne ausgehebelt werden.
Einer scheint diese Sorge allerdings nicht zu teilen: Robert Feiger, der Vorsitzende der IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG Bau), spricht sich dafür aus, den gesetzlichen Mindestlohn sogar noch stärker zu erhöhen.
Das derzeitige Niveau von 9,19 Euro in der Stunde sei „zu niedrig, keine Frage“, sagte er am Mittwochabend vor Journalisten in Frankfurt. „Um im Alter über die Grundsicherung zu kommen, muss man über 45 Jahre 12,63 Euro die Stunde verdienen.“ Derzeit beträgt die Grundsicherung rund 800 Euro. (…)
Brisant ist diese Aussage auch deshalb, weil Feiger Mitglied der Mindestlohnkommission ist, die aus Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften sowie Wissenschaftlern besteht. Sie entscheidet alle zwei Jahre über eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns und orientiert sich dabei, wie es das Gesetz vorsieht, am Durchschnitt der vorherigen Tarifabschlüsse. Feiger, der mit seiner Gewerkschaft die Interessen unter anderem von Bauarbeitern und Gebäudereinigern vertritt, beklagte, das jetzige Gesetz enge die Kommission ein. „Hier muss der Gesetzgeber dringend nachbessern. Anders geht es nicht“, sagte er. […]
Weiteren Auftrieb könnte die Debatte über den gesetzlichen Mindestlohn durch Zahlen bekommen, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Donnerstag vorgelegt hat. Der Mindestlohn in Deutschland liege trotz der Erhöhung zum Jahresanfang „weiterhin spürbar niedriger“ als die Lohnuntergrenzen in anderen westeuropäischen Ländern, schreiben die Autoren. In Frankreich betrage der Mindestlohn erstmals über 10 Euro, in Luxemburg sogar 11,97 Euro. Im Vergleich mit allen 22 EU-Staaten, die einen Mindestlohn haben, schafft es Deutschland immerhin auf Platz sechs. Nicht berücksichtigt wird in der Analyse, dass hierzulande für ein gutes Dutzend Branchen eigene Mindestlöhne gelten, die bis zu 17 Euro in der Stunde betragen.
Quelle: Frankfurter Allgemeine