Die Schriftstellerin und Publizistin Rossana Rossanda ist Mitbegründerin der Zeitung Il Manifesto. 2005 erschien ihre Autobiografie »Die Tochter des 20. Jahrhunderts«. Die ehemalige Widerstandskämpferin und führende Kommunistin Italiens ist heute 85 Jahre alt und lebt in Rom.
Geschichte .. ist nicht vollkommen determiniert und wiederholt sich nicht nach denselben Mustern – schon gar nicht angesichts der tiefgreifenden kulturellen und sozialen Veränderungen des 20. Jahrhunderts. Der Faschismus war im vergangenen Jahrhundert in Europa eine bestimmte politische Gestalt, und wenn der Begriff einen Sinn hat, dann wiederholt der Faschismus sich nicht.
Der Postfaschismus ist keine Wiederholung des Faschismus im Kleinen, sondern eine Wahldemokratie, in der sich der Autoritarismus aufgrund der Entpolitisierung der Massen und des Verlusts der Hoffnung auf eine mögliche Systemänderung durchsetzt. Er bezeichnet etwas Neues, bezieht sich auf neue Subjekte und Massen, er folgt in Italien auf die Krise der I. Republik, die schon Ende der siebziger Jahre begann, spätestens aber 1989 sichtbar wurde. Darüber hinaus bleibt oft unberücksichtigt, dass die Tendenz zur Degeneration der Demokratie oder sogar ihre Negation in Europa seit der Französischen Revolution sowohl innerhalb der Kirche als auch unter den Laizisten alte und hochgebildete Vorbilder hat, von Nietzsche bis Jünger. Deshalb haben in Italien viele angesehene Antifaschisten keinen Anstoß daran genommen, als die Ex-Faschisten mit Berlusconi zur neuen Mehrheit wurden. Sie haben unterschätzt, dass der untergründige faschistoide Humus und die explizit populistische Ader der Rechten sich bestens vereinbaren lassen mit der hochmodernen Tendenz zu einer autoritären Regierung, die das Land als Unternehmen begreift. Sie haben unterschätzt, dass sich innerhalb der demokratischen Ordnung ein auf freien Wahlen basierendes, populistisches, entideologisiertes, hyper-präsidentialistisches, antidemokratisches und antigewerkschaftliches System errichten lässt. Zu einem solchen System tendieren heute Italien und Frankreich mit Berlusconi und Sarkozy. Aber das ist kein Faschismus.
Quelle: jungle world
Anmerkung Orlando Pascheit: Wie schön, dass es Rossana Rossanda noch gibt. Ich erinnere mich noch, als sie auf das Scheitern der Linken nach dem Kriege angesprochen meinte: “Das Kapital ist kühner und innovativer als wir gewesen.” Kein Wunder, dass die ihr eigene Klarheit ihren eigenen Leuten auf die Nerven ging und es zum Parteiausschluss kam - wegen Linksabweichung. Auf die Bundesrepublik bezogen kann nicht genug wiederholt werden. Geschichte wiederholt sich nicht. Dieses obligate “Nie wieder” an diversen Gedenktagen deutscher Abscheulichkeiten kleistert nur die Köpfe zu. Wir haben schon längst ein neues Regime, dessen gegenwärtiges Symptom die Weltwirtschaftskrise ist. Die Fragen an dieses Regime sind zum Beispiel: “Wie kann man es ertragen, dass die meisten Menschen auf der Erde nicht einmal die Chance haben, darüber nachzudenken, wer sie sind und was sie werden wollen, weil das ganze Abenteuer des Lebens von Anfang an ruiniert ist?” (Aus: Die Tochter des 20. Jahrhunderts)